Den Entschluß, eine Geschichte der Familie Ferazin zu schreiben, verwirklichte mein Onkel und Taufpate Johann Ferazin, Regierungsrat i. R., Landshut. In unermüdlicher Kleinarbeit durchforschte er die Aufzeichnungen, Protokolle, Verträge u. dgl. der ihm zugänglichen bayrischen Archive und Pfarrmatrikeln.
Bald stellte sich heraus, daß der Name Ferazin italienischen Ursprungs ist. Gemeinsam mit seinen Brüdern Karl und August unternahm er mehrere Reisen nach Italien, die aber nicht zum gewünschten Erfolg führten. Erst am 16.08.1922 - er war inzwischen schon 75 Jahre alt geworden - teilte Onkel Hans meinem Vater brieflich mit:
"Ich neige mich nach langer und sorgfältiger Prüfung der vorhandenen Anhaltspunkte nunmehr Deiner Ansicht zu, daß nämlich unsere Familie aus Salò stamme, jedoch mit dem Bemerken, daß unser Name ganz entstellt ist und nicht ´Ferazin´, sondern ´Francini´ zu lauten hätte.
1624 am 16.11. ist in Salò ein Martino, Sohn des Piero Francini, getauft und dieser Piero 1634 zum letzten Mal in den Kirchenbüchern genannt. Da unser bekannter erster Vorfahre einen Abschied auf den Namen Salò und einen Geburtsbrief auf den Ort Allego i. J. 1699 vor seiner Verheirathung aufwies und zur Klärung dieses Unterschiedes des Namens bekannt gab, daß er bei Ankunft in Deutschland so jung gewesen sei, daß er seinen Namen nicht wußte, hingegen sich doch den Namen Salò beilegte, so läßt dies darauf schließen, daß er mit seinem Vater auswanderte und öfter von der Heimat Salò reden hörte. Der Geburtsbrief wird diesen Namen selbstverständlich auch getragen haben mit dem Zusatze Allago (am See), woraus in Unkenntnis der italienischen Sprache ein deutscher Unterbeamter Allego und aus dem unserer Zunge nicht geläufigen Francini Feracin machte. Es gibt viele Ferracin, Ferracina, auch Ferracini in Oberitalien, aber keinen Feracin und kein Allego."
(In diesem Punkt irrte Onkel Hans. Gelegentlich eines kürzeren Aufenthalts in Rovigo z. B. las ich an einer Gartentür die Aufschrift: Dr. Ferazin, Augenarzt. Leider hatte ich nicht die Möglichkeit ihn anzutreffen. Auch in Salò, so berichtete man mir, sollen Träger dieses Namens leben, darunter ein Architekt.)
In seinem Briefe vom 16.08.1922 fährt Onkel Hans fort:
"Da nun der Vorname und das Alter des Martino stimmen würde, wenn man diesen als Vater des ersten Joannes annimmt, so käme es darauf an, ob nicht Trauung des Martino und Geburt des Joannes in den Büchern zu Salò zu finden wäre. Allein hier versagt der Pfarrer daselbst, an den ich mich im Dezember v. J. gewendet habe: er gibt keine Antwort. Trotzdem glaube ich auf richtiger Fährte zu sein . . . . "
Schon einmal hatte ich vergeblich versucht, mir an Ort und Stelle Klarheit zu verschaffen. Gelegentlich einer Reise nach Apulien im September 1962 machte ich wiederum in Salò Halt. Schon um 8 Uhr früh parkte ich in Begleitung meiner Frau unser Auto am herrlichen Lungolago unweit des Doms. Da das Sekretariat des Pfarramts um diese für Italiener frühe Stunde noch geschlossen hatte, benützte ich die Zeit zu einem Rundgang durch das Gotteshaus. Hatte vielleicht auch mein mutmaßlicher Ahnherr schon vor den riesigen Gemälden gestanden, bevor er wehen Herzens Abschied genommen von seiner Heimat? Zeitlich besteht die Möglichkeit; denn der Dombau zu Salò wurde schon 1453 begonnen. Der Stil ist noch gotisch, aber schon deutlich von der Renaissance beeinflußt.
Die ersten Fresken malte Giovanni da Ulma zwischen 1453 und 1475. Presbyterium und Apsis gestaltete Palma il Giovene (1544 - 1528). Im Dom befinden sich viele Gemälde von Meistern des 14. - 16. Jahrhunderts.
Pünktlich um 9 Uhr traf der Sekretär ein. Bereitwillig wie schon am 21. Mai d. J. händigte er mir den Schlüssel zu dem Gewölbe ein, in dem sich die Kirchenbücher befinden. Damals ergriff ich aufs Geradewohl das ´Liber Septimus Baptizator Sub Regimine Optimo Pillis ADM pDi D. D. Caruti Iuris Utriusque Doctoris Vic. For Salensiensis 1658 - 1678´ Taufmatrikeln mit dem Namen Francino, also nicht Francini.
Diesmal war ich besser vorbereitet. Ich kannte die Rats-Protokolle der ´Hochfst. Residentz-Statt Pfreimdt´ aus den Jahren 1699, 1700 und 1701, die sich mit der Einbürgerung meines italienischen Vorfahren beschäftigten.
Der Sachverhalt ist kurz folgender: Am Erchtag (Dienstag) den 6. Oktober 1699 teilte in der Ratsversammlung der Stadt Pfreimdt (Opf.) der amtierende Bürgermeister (es wechselten damals deren 4 im Amte ab) mit, daß gem. einer Zuschrift des Hochfürstl. Stadtrichteramtes bei Hochfürstl. Hofrath München ein gewisser ´Johann Sallo, Khindlfeher, von Allego gebührtig, vor einen Statt-, Marckht- und Landtschaffts - Caminfeher seye an- und aufgenommen worden´. Am 25.02.1700 richtete der Kaminkehrer Salo die Bitte an den Rat, ihm auch den Dienst in der Stadt Pfreimdt zu verleihen, was ihm auch zugesagt wurde, sobald er seine Geburtsurkunde aufgewiesen haben würde. In der Sitzung vom 24. Mai 1700 ergab die Prüfung der vorgewiesenen Papiere, daß der Geburtsbrief auf den Namen Feracin, der Lehrbrief aber auf Salo lautete.
Dieser scheinbare Widerspruch wurde in der Sitzung vom 19. Juni 1700 gelöst. Der Bürger und Kaminkehrer Bernard Wiskard, ein in Tachau (Böhmen) lebender Italiener, gab die eidliche Versicherung ab, daß Johann Salo ein rechtmäßiger Sohn des in Gott ruhenden Martin Feracin sei. Der Antragsteller selbst wußte keine befriedigende Erklärung abzugeben. Er behauptete, in ganz jungen Jahren nach Deutschland gekommen zu sein. Da er angeblich seinen Namen nicht wußte, sich anderseits doch den Namen Salo zulegte, läßt darauf schließen, daß er mit seinem Vater auswanderte und öfter von der Heimat Salò reden hörte. Selbstverständlich wird auch der Geburtsbrief diesen Namen getragen haben mit dem Zusatze allago (am See), woraus in Unkenntnis der italienischen Sprache ´Allego´ und aus dem der deutschen Zunge nicht geläufigen Francini ´Feracin´ wurde.
Aus dem vorgewiesenen Geburtsbriefe ging hervor, daß Johanns Vater im Jahre 1624 in Salò geboren wurde.
Im ´BAPT. um V 1624 - 1644´ fand ich bald die Bestätigung durch den Eintrag:
Freudig eilte ich mit dem aufgeschlagenen Kodex ins Sekretariat und bat, mir eine beglaubigte Abschrift der Eintragung auszufertigen. Der Sekretär aber lehnte mit der Begründung ab, daß er die Schrift nicht entziffern könne, ich möge die Rückkehr von Monsignore abwarten. Tatsächlich sind einige Wörter derart flüchtig aufgezeichnet und abgekürzt, daß ihr Sinn dunkel erscheint. Name und Datum hingegen sind einwandfrei zu entziffern. Ich wartete fast 2 Stunden, Monsignore aber kam nicht. Also stellte ich das Buch wieder an seinen Platz, verschloß das Gewölbe und gab den Schlüssel mit der Bemerkung zurück, daß ich später wiederkommen würde.
Am Lugolago erlebte ich eine böse Überraschung. Das Auto war verschwunden. Eine alte Italienerin lief auf mich zu und berichtete, daß ein italienischer Lastwagen auf unseren PKW aufgefahren war, glücklicherweise aber nur Blechschaden entstanden sei. Nach einiger Zeit kam meine Frau und hatte den Besitzer des Unglücksfahrzeuges schon mitgebracht. Dieser erklärte sich sofort bereit für den Schaden aufzukommen. Der völlig demolierte linke hintere Kotflügel samt Schlußlicht mußte abmontiert, ein neuer aus Brescia erst herangeholt werden. Die Stunden vergingen und mit ihnen die Aussicht Monsignore anzutreffen.
Mit größter Wahrscheinlichkeit darf also
Giovanni Antonio Martino Francini,
geb. am 16.11.1624 zu Salò
als Einwanderer und Ahnherr angesehen werden.
Die Eintragungen in den Pfreimdter Pfarrmatrikeln reichen leider nur bis zum Jahre 1709 zurück. Als ältester Vermerk findet sich: "lmo Febb. 1710 sepultus est Joannes, Joannis Verazin Itali civis et caminarii. Mat. Anna Eva Fil. leg. puer 8 ann."
Die Schreibweise des Namens Ferazin ist in den verschiedenen Akten und Protokollen sehr differenziert. Es finden sich neben Feracin und Veracin auch Ferazina, Ferezin, Ferezina u. ä.. Noch in den verschiedenen Urkunden meines Vater kommen die Schreibweisen Ferazina bzw. Ferezin vor. Auch ich selbst bin noch auf den Namen Ferezin getauft. Erst am 30.05.1903 wurde die Schreibweise amtlich ´Ferazin´ festgesetzt.